Ubud ist das spirituelle Zentrum Balis. Nach dem Erfolg des Buches “Eat, Pray, Love” reisen viele Europäer dorthin, um ihr Selbst zu suchen. Das wollen wir auch: Der Bali-Selbstversuch, Tag 2.
(Zum ersten Teil geht’s hierlang.)
Wie wird es wohl sein, mein Selbst? Wie werde ich es nennen, wenn ich es gefunden habe? Selbsty? Verwechslungsgefahr mit hipper englischer Variante. Wird es auf mich hören, wenn ich es dann rufe? „Ja komm, unhipper Selbsty, komm! Ja wo isser denn?“ Wirre Gedanken, tiefgründig, während Nina und ich im Lotussitz – für Amateure: „Schneidersitz“ – auf dem Holzboden des von grünem Bambuswald umgebenen Trainingsraum im Yogazentrum hocken.
Meine Augen sind fest geschlossen, all meine Konzentration richtet sich auf das kollektive „Ommmmm“ meiner zwanzig neuen allerbesten Freunde, die ich vor zwei Minuten kennengelernt habe. Ja, hier sind nämlich alle beste Freunde, hat unser Acro-Yoga-Guru gesagt, als wir uns in einem großen Sitzkreis (der muss perfekt sein, damit jeder seine neuen besten Freunde anschauen kann) versammelt haben. Ich frage mich, was Unhipper Selbsty von meinen neuen Freunden halten wird. Wird er sich mit ihnen und deren Selbsts verstehen?
Ich glaube, einige der allerbesten Freunde haben ihr Selbst bereits gefunden. Es muss schön sein, ein Leben mit Unhipper Selbsty zu verbringen – viele sind bereits mit einem Lächeln zur Yoga-Stunde gekommen, das nach stoned im Dauerzustand aussieht.
Ein sanftes Streicheln auf meinem rechten Oberschenkel reißt mich aus meinen Gedanken in den Yogaraum zurück. Guru hat uns gerade erlaubt, uns gegenseitig zu streicheln, das macht man unter Freunden so. Dann schunkeln. Dann Arme über die Schultern des jeweils linken und rechten Freundes legen. Das Lächeln meiner Freunde bleibt starr – ich ärgere mich, dass ich mein Schreikssen im Hotel gelassen habe.
Guru fordert uns jetzt auf, unser schönstes Erlebnis des Tages zu erzählen. Ein Beispiel von lächelnder Freundin gegenüber:
„I got up before sunrise, then I stepped out on the Veranda, sat down and did Yoga while the sun was rising. That was such a deep experience to me.“
Ich fand die Banana-Pancakes zum Frühstück lecker. Betretenes Schweigen, als ich es erzähle. Ich glaube, ich habe den letzten Platz belegt.
Der Rest der Yoga-Stunde ist Schmerz. Ich erfahre, was „Acro“ in Acro-Yoga eigentlich bedeutet und merke, dass meine Sehnen dafür ungefähr so geeignet sind, wie Elefantenbeine für den Miniatur-Modellbau. Meine Freunde lächeln mich an.
Irgendwie kaufe ich meinen allerbesten Freunden das Lächeln doch nicht wirklich ab. Es wirkt, als hätten sie es am Morgen zusammen mit dem Make-Up aufgetragen. Mich beschleicht das Gefühl, dass sie etwas besonders zur Schau stellen wollten, dass sie ganz besonders zeigen möchten, wie glücklich sie doch sind: Ich habe mein Selbst gefunden, meine innere Mitte, ich bin so glücklich im Einklang mit der Welt. Fast so, als ob sie eine unerschütterliche Wahrheit gefunden hätten, eine, die sie in eine Guru-ähnliche Sphäre hebt. Denn das Lächeln mir, dem Neuankömmling gegenüber, wirkt auf eine herabschauende Weise fast mitleidig.
Und dann erscheint das Lächeln aber doch wieder doch zu starr, zu aufgesetzt. Ich frage mich, was sich dahinter verbirgt. Ist das Lächeln, der Selbstfindungstrip, vielleicht eine Flucht aus einem allzu normalen und grauen Alltag, ohne Mystik, ohne spirituelle Tiefe?
Fremde Freunde anatmen
Die Kluft, die sich in Ubud zwischen spirituellem Schein und grotesk anmutender Wirklichkeit auftut, wird deutlich, als wir im Alchemic-Breath-Kurs ankommen. Schon wieder zwanzig neue allerbeste Freunde, lächelnd, im Lotussitz, wartend auf den Guru, der in die Kunst des alchemischen Atmens einführen soll.
Er erscheint: Weiße Hose, weißes Hemd, aus weitem Leinenstoff. Das lange, weiße Haar zu einem Zopf gebunden, einen Ingwer-Tee in der Hand. Vielleicht fünfzig. Mit Sicherheit hipper als Unhipper Selbsty. Er spricht mit einer angenehmen, tiefen Stimme, fast säuselnd, in das Headset-Mikrophon: „When you breath in, remember your birth, your first breath. When you breath out, think about your death, your last breath.“ Ob das Unhipper Selbsty gefallen würde?
Ich glaube, er würde mich auslachen, wenn er mich bei der dann folgenden Aufwärmübung beobachtet hätte: Weißer hipper Guru weist uns an, mit gefalteten Händen vor dem Gesicht (=Namaste-Position), zum Boden schauend, im Raum rumzulaufen. Dann sollen wir vor einem unserer allerbesten Freunde stehen bleiben, die Stirn an die Stirn des Anderen drücken, dreimal tief alchemisch Anatmen, dann in die Augen schauen und wieder dreimal alchemisch Anatmen. Die Lippen aufeinandergepresst versuche ich dem Ernst der Situation gerecht zu werden und den sich anbahnenden Lachanfall wie ein freundschaftlich-nettes Lächeln aussehen zu lassen. Es wirkt vermutlich eher wie eine Gesichtslähmung.
Einatmen, Geburt. Ausatmen, Sterben.
Dann das eigentliche alchemische Atmen: Es gehe darum, die eigentliche Kraft des für uns so selbstverständlich gewordenen Atmens zu spüren, sich der belebenden Stärke bewusst zu werden, sagt weißer hipper Guru. Tief durch den Mund einatmen, keine Pause, und tief durch den Mund ausatmen. Als weißer hipper Guru uns das vormacht, klingt es nach einer Mischung aus Sex und Hyperventilieren.
Wir legen uns hin, Nina neben mir. Leise esoterische Musik setzt ein. Einatmen. Geburt. Ausatmen. Sterben. Eine Stunde verordnet uns Guru. Einatmen. Geburt. Ausatmen. Sterben. Einatmen. Geburt. Ausatmen. Sterben. Meine Finger beginnen zu Kribbeln. Einatmen. Wahrscheinlich zu viel Sauerstoff. Geburt. Ausatmen. Es beginnt langsam zu schmerzen. Sterben. Meine Finger ziehen sich zusammen. Einatmen. Nina beginnt zu schluchzen. Geburt. Ich kann mich nicht bewegen. Ausatmen. Nina weint. Sterben. Ich öffne die Augen. Einatmen. Geburt. Nina krampft. Ausatmen. Sie hyperventiliert. Sterben. Bede schmerzend bewegungslos. Einatmen. Will ich Unhipper Selbsty überhaupt kennenlernen?
Weiter geht’s in Teil drei von “Selbst zum selbersuchen” bald hier, im Reiseblog.