Ubud ist das spirituelle Zentrum Balis. Nach dem Erfolg des Buches „Eat, Pray, Love“ reisen viele Europäer dorthin, um ihr Selbst zu suchen. Das wollen wir auch: Der Bali-Selbstversuch, Teil 1.
Ich bin Nichtleser, was das Buch anbelangt. Weniger, weil ich unvoreingenommen – überzeugte Leser würden sagen: unvorbereitet – sein wollte. Ich habe mich schlicht geweigert, das Buch zu lesen. Eat, Pray, Love (in Kennerkreisen: EPL) ist einfach Mädchenkram. Die Geschichte kenne ich aus Wikipedia-Zusammenfassungen: Frau hat Lebenskrise, reist nach Italien (Essen), Indien (Beten) und Bali (Liebe), findet schließlich zu sich selbst, Lebenskrise überwunden. Soweit nette Geschichte. Klingt nach Groschenroman für die verbitterte Hausfrau. Ich lese lieber Game of Thrones.
Erstaunlich allerdings ist die Resonanz, die der Autobiographie folgte: Der Selbstfindungstrip nach Bali scheint zu einem säkularen Jakobsweg geworden zu sein. Elizabeth Gilbert ist die unfreiwillige Prophetin neuerer Heilsversprechen – EPL als Evangelium der Gegenwart. Der indonesischer-Heiler-Besuch gehört für viele ebenso zur Bali-Reise wie der fünf-Liter-Sangria-Eimer zum Ballermann („Hölle! Hölle! Hölle! Hölle!“).
Entsprechend groß ist das Angebot spiritueller Selbsterfahrung, das aus dem einst beschaulichen Dorf Ubud in Zentralbali – Schauplatz von EPL – ein Mekka des Selbstfindungstrips gemacht hat: Yoga-Shop reiht sich an Ayurveda-Geschäft, daneben ein großes, bunt-blinkendes Schild, das auf die original-ursprünglich-traditionelle balinesisch-indisch-chinesische Heilkunst eines Gurus hinweist. Dass sein Name europäisch klingt, ist nicht wesentlich, ebensowenig, dass ein indonesischer Heiler eigentlich kein Trara um sein Können macht, sondern durch Mundpropaganda bekannt wird. Aber: Wie sollen die Selbstsuch-Touris in dem Rohkost-Lokal um die Ecke denn sonst zu ihren versprochenen Problemen samt Lösung finden? Wenn doch Yesterday History, Tommorrow Mystery und Today a Gift ist – wie ein Stoffschild in einem Souvenierladen predigt -, warum dann nicht die Gunst des Augenblicks nutzen und diesem kleinen Wink des Zaunpfahls folgen, auf dass das mysteriöse Morgen die Lösung mysteriöser Probleme bereithält?
Manchmal habe ich das Bedürfnis, den Bezug eines Kissens aufzuknöpfen, meinen Kopf tief dort hineinzustecken und laut schreiend und stampfend umherzulaufen. Mangels Kissen sehe ich mich gezwungen, ins Hotelzimmer zurückzukehren. Was finden so viele Eurpäer und Australier in diesen Angeboten, dass sie sich dem kissenlos und bereitwillig hingeben? Ich will diesen prophezeiten Rausch spiritueller Selbsterfahrung auch erleben und verstehen, ja, mich selbst finden, wenn mein Selbst möglicherweise nicht das ist, was dort auf dem Hotelbett liegt und in das Kissen schreit.
Zeit, zu Handeln. Zwei Minuten später habe ich zwanzig Fenster meines Internetbrowsers geöffnet. Eine Webseite lässt mich nicht los: Die der australischen Heilerin Jelila (ich glaube, man muss den Namen mit stark näselnder Stimme und lang gezogener letzter Silbe aussprechen), die ihre Praxis in Ubud hat. Sie legt jedem Selbstsuch-Touri Kristalle auf den Körper und spielt Probleme mit der Gitarre weg. Überzeugendes Klangbeispiel: „Dolphin’s Journey„. Für 800 Dollar am Tag. Weil ich auf dem Kissen hocke, schreie ich jetzt den Bildschirm an.
Der Weg zur Selbstfindung ist teuer. Für uns wäre mit einem Besuch bei Jelila die Reise vorzeitig beendet. Selbstversuch Selbstsuche gescheitert – keine Option. Wir melden uns für fünf verschiedene billigere Kurse in einem Yogazentrum an: Tai Chi, Acro-Yoga, Alchemic Breath (weil’s cool und spacy klingt), Yin-Yoga und Kirtam. Während ich mich schon gespannt auf mein Selbst freue, wird meine Stimme allmählich heiser.
Weiter geht’s in Teil zwei von „Selbst zum selbersuchen“.