Der Vulkan Sinabung bricht seit 2013 fast täglich aus. Vor einem Jahr sind bei einer Eruption mindestens 17 Menschen ums Leben gekommen. Für die Bewohner in Berastagi hat sich viel geändert: Der friedliche Vertrag zwischen Mensch und Natur wurde infrage gestellt.
Jono wäre vielleicht nicht mehr am Leben, hätte er die Tour am Nachmittag geführt. Er hatte nur deshalb abgesagt, weil er bereits für den Vulkan Sibayak gebucht war. Am Morgen war in der kargen Felslandschaft nahe des Sinabung unterwegs gewesen. Der Vulkan wirkte ruhig. Das Brodeln der vergangenen Monate schien zurückgegangen zu sein. Jono war deshalb nicht davon ausgegangen, dass der Vulkan am selben Tag noch ausbrechen würde, er hätte der Anfrage für den Sinabung eigentlich zugestimmt. Wäre da nicht schon die andere Tour gewesen.
„I was lucky“, sagt der Tourguide heute, ein Jahr später. Am zweiten Februar 2014 war er mit einer deutschen Reisegruppe stattdessen auf dem inaktiven Vulkan Sibayak unterwegs, als es 15 Kilometer südwestlich im Sinabung wieder rumorte, als vernichtend heiße Lava an die Oberfläche drängte, als der Vulkan Felsbrocken und glühende Asche in die Höhe schleuderte und den Tod für mindestens 17 Menschen brachte. Es war der schlimmste Ausbruch des seit 2010 wieder aktiven Vulkans bei Berastagi auf der indonesischen Insel Sumatra. Zum ersten Mal waren bei einem Ausbruch des Sinabung wieder Menschen ums Leben gekommen.
Jono ist mit dem Leben davongekommen. Wenn er davon erzählt, wie er beinahe Touristen auf den Sinabung geführt hätte, wie er den Ausbruch stattdessen aus sicherer Entfernung beobachtete, hält er oft inne. Dann verzieht er seinen Mundwinkel zu einem kurzen Lächeln, als wolle er der schicksalhaften Ironie Ausdruck verleihen. Die Toten waren Studenten aus Medan, die eine Tour zum Sinabung unternommen hatten.
„All the time we were living with the vulcano.“
Bevor der Vulkan vor fünf Jahren wieder erwachte, war der Sinabung für die rund 50.000 Einwohner in und um Berastagi mehr eine wertvolle Ressource denn eine Gefahr für ihr Leben: die kargen, unwirklich anmutenden Felsplateus auf den beiden Vulkanen brachten den Tourismus in das kleine Bergstädtchen. Am Fuße des Sibayak wurde 2000 ein Wärmekraftwerk in Betrieb genommen, das die Region mit umweltfreundlicher Energie versorgt. Und der fruchtbare Boden ermöglichte den Anbau von Kaffee, Orangen, Tomaten und Chili. „All the time we were living with the vulcano“, sagt Wawan, ebenfalls Tourguide aus Berastagi. „Then, suddenly, we realized, that there is also the possibility of an eruption.“
Nach mehr als einem halben Jahrtausend regte sich 2010 einer der beiden Vulkane wieder. Der Sinabung brach einen Monat lang aus. Dann erlosch er für drei Jahre, bis er 2013 mit ungeahnter Stärke die umgebenden Dörfer mit Lava, Aschewolken und Felsbrocken beschoss und viele Häuser, Moschen und Kirchen zerstörte. „That was horrible“, sagt Wawan. Fast 30.000 Menschen mussten ihre Dörfer verlassen und in das sichere Berastagi fliehen – so wie Jono, der von seinem Geburtsort Kuta Tengah zu einem Freund nach Berastagi zog. Bis heute bricht der Sinabung fast täglich aus. Bei ungünstigem Wind können wegen der Aschewolke Flugzeuge im 70 Kilometer entfernten Medan manchmal nicht starten.
Die Zerstörung
Die Dörfer in einem Umkreis von fünf Kilometer um den Sinabung sind immer noch verlassen. Die Regierung hat das Wohnverbot hier noch nicht aufgehoben. Am Straßenrand zeigen grüne Hinweisschilder die „Evacuation-Route“ an, die von den Dörfern nach Berastagi führt. Vulkanasche hüllt die Landschaft und die zerstörten Hausfassaden in ein bedrückendes Grau. Es wirkt, als habe jemand die Sättigung zugunsten blasser Farben heruntergedreht. Vor einem zusammengekrachten Bambusdach stehen Säcke voller gesammelter Vulkanasche. Im Hintergrund Sinabung, heute schwach dampfend, als wolle er seine Beute bewachen, verhindern, dass jemand die Dörfer wieder aufbaut.
Von einem einst florierenden Kaffeefeld ist nur noch totes Gestrüpp geblieben, das aus einer faustdicken Ascheschicht ragt. Die Orangen an den Bäumem daneben sind grau und verdorben. Die heiße Ascheglut hat die Bäume und Gewächse zerstört, der heiß gewordene Boden und der regelmäßige Ascheregen machen Wachstum hier fast unmöglich.
Auf einem Feld bei Kuta Tengah, rund fünf Kilometer von dem Vulkan entfernt, pflückt Jono eine Tomate von einem Strauch. Das Feld gehört seinem Onkel, der vom Anbau der Tomaten und Chili lebt. Vor zwei Monaten durfte Jono wieder nach Kuta Tengah ziehen, nach Erlaubnis der Regierung. Er reibt die Tomate kurz mit der Hand ab. Die Asche geht nicht ab. „I have to wash it first“, sagt er und geht zu einem Eimer voll Wasser. Die Tomate schmeckt süß, ist saftig und nicht zu weich. Eigentlich eine gute Frucht. Kaufen will sie trotzdem kaum jemand. „Because of the ash“, sagt Jono. Für ein Kilo Tomaten bekommt sein Onkel heute gerade mal 1.000 Rupiah, das sind ungefähr sieben Cent. Vor dem Ausbruch war es das fünffache. Die Kunden hätten Angst, dass sie davon krank werden, sagt Jono. „But it’s no problem to eat them!“
Jono verdient sein Geld als Guide für Trekkingtouren. Seit dem tödlichen Sinabung-Ausbruch vor einem Jahr führt er Besucher nur noch auf den Sibayak. Doch die Besucherzahlen in Berastagi gehen zurück, sagt Jono. An den Weihnachtsfeiertagen und Neujahr sei eigentlich Hochbetrieb in Berastagi. Vergangenes Weihnachten seien aber kaum Touristen gekommen. Einige Hotels hätten sogar ganz schließen müssen. Der plötzliche Sinabung-Ausbruch hat den stillen Vertrag zwischen den Vulkanen und der Bevölkerung infrage gestellt. Er hat den Alltag umgekrempelt, das friedliche Nebeneinander zwischen Natur und Zivilisation aus dem Gleichgewicht gebracht.
Noch ein Vulkan?
Wawan glaubt, dass mit Erwachen des Sinabung auch die Aktivität des Sibayak zunimmt. Er ist oft mit Touristen auf dem noch inaktiven Vulkan unterwegs. Nach dem Sinabung-Ausbruch 2013 habe sich auch auf der Sibayak verändert. „These holes appeared one day after Sinabung-eruption“, sagt er und zeigt auf einige fußballgroße Löcher im kiesigen Boden des Vulkangipfels. Dampf steigt aus den Löchern, davor köchelt in einer kleinen Mulde Wasser. Manche Tourguides kochen darin Eier für Touristen. Aus Felsspalten, kaum fünfzig Meter von dem kochenden Wasser entfernt, dringt heißer Schwefeldampf und vernebelt die unwirkliche, karge Landschaft. Für Wawan hat auch dieser Vulkan zu brodeln begonnen. „I hope, that it will not erupt“, sagt er.
Die Menschen in und um Berastagi waren auf solch ein Szenario nicht vorbereitet. Erst 2013 wurde sieben Kilometer südöstlich des Vulkans das Zentrum für Vulkanologie und Katastrophenschutz eingerichtet. Dort werden die Vulkane Sinabung, Sibayak und Samosir (am Tobasee) beobachtet. Im ersten Stock sitzt Arif Kamyo, Elektroingenieur. Auf vier Computerbildschirmen flimmern seismographische Kurven und Webcambilder der Vulkane, daneben steht ein analoger Seismograph, der mit schwarzer Tinte die Aktivität des Sinabung niederschreibt. An den Wänden hängen Bilder, auf denen Lavaströme zu sehen sind. Das jüngste ist gerade mal fünf Tage alt.
Arif misst die Aktivität der Vulkane. Aus den Daten berechnet er, welche Gebiete um den Vulkan wegen der Ausbruchgefahr unbewohnbar sind. Wie sich allerdings das Bedrohungsszenario entwickeln wird, kann Arif nicht prognostizieren. „The activity is still fluctuating“, sagt er. Eine gegenseitige Beeinflussung von Sinabung umd Sibayak kann er im Gegensatz zu Wawan nicht bestätigen.
Der Wiederaufbau
Die geflohenen Menschen müssen weiter ausharren, warten auf die Entwarnung, wie sie Jono bereits erhalten hat. Nur einmal täglich dürfen sie für zwei Stunden in ihr Dorf zurückkommen, um nach dem eigenen Haus zu sehen. Manche nutzen die Zeit, um die Überreste ihres einstigen Zuhauses beiseite zu schaffen. Manche, um die Asche aus den übrigen Gebäuden zu kehren, um wieder Ordnung zu schaffen, nur für einen halben Tag. Die Asche wird wiederkehren. Nur zwei Gebäude haben sie bisher an einer anderen Stelle wieder vollständig aufgebaut: Die Moschee und die Kirche. Die Menschen haben Hoffnung.